Shagya-Araber

Shagya-Araber, die vergessenen Leistungspferde

Gründung und Geschichte

Es gibt eine Pferderasse, die kann das Meiste - besser als die Meisten. Und die Meisten haben noch nie von ihr gehört. Und es sind keine Vollblutaraber, obwohl sie noch immer "Shagya-Araber" heissen.

Shagya-Araber im Gestüt Neuenbrook

Des Rätsels Lösung liegt in der Geschichte

Ende des 18. Jahrhunderts hatte man die herausragenden Eigenschaften des Vollblutarabers in ihrer Bedeutung für die Kavallerie erkannt - überlegene Härte, Schnelligkeit, Ausdauer, Futterdankbarkeit, Intelligenz und Eleganz. Doch man wünschte sich Pferde die grösser, rahmiger, mehr reitpointiert waren als der Vollblutaraber - und gelassener im Temperament.

Der Habsburgerkaiser Josef II. schenkte dem Vorschlag des hervorragenden ungarischen Hippologen József Csekonics Gehör, ein staatliches Gestüt für Leistungspferde aufzubauen, und im Jahre 1784 wurde Mezöhegyes (Ungarn) gegründet, das bald eine 'Filiale' in Bábolna bekam (1789). Im Gegensatz zur damals üblichen Strategie, ein buntes Sammelsurium an Pferden zu kreuzen, und das grösste Gewicht auf den Einkauf von Hengsten zu legen, hatte Csekonics die Bedeutung durchgezüchteter, leistungsgeprüfter Stutenstämme und die Wichtigkeit der Konzentration auf einen einmal festgelegten Typ erkannt. Die Stammmütter der F1-Generation wurden deshalb Stuten, die mit Erfolg in der Kavallerie gedient und damit ihre Härte und Reiteigenschaften schon bewiesen hatten. Diese Stuten waren bereits sehr stark orientalisiert durch langen Kontakt mit den Pferden der Türken.

 
Radezkyhusar vom Eichenhof, Familie Orgis, Wutzetz (D)

Nach anfänglichen Experimenten mit orientalischen und iberischen Hengsten, wurden die Stuten seit dem beginnenden 19. Jahrhundert nur noch mit ausgesuchten Original-Araber-Hengsten gedeckt und die neuen Zuchtstuten wurden aus der Zuchtherde selbst rekrutiert. Staatliche Ankaufsexpeditionen erwarben die besten Original-Araber-Hengste die für Geld zu haben waren und durch äusserst harte Selektion gelang es, einen einheitlichen Typ zu schaffen, der bald wegen seiner Härte berühmt wurde. Die Pferde wurden karg gehalten und aufgezogen. So liest man in alten Gestütsberichten, dass schon Fohlen und Jungpferde bis zu 30km täglich vorwiegend im Schritt bewegt wurden!

Bald schätzte sich jeder Offizier glücklich, wenn er einen Shagya (damals noch Araber-Rasse genannt) reiten durfte. So war zum Beispiel die Leibgarde des Kaisers mit Radautzer Shagyas beritten. Die ungarische Kavallerie schätze die neue Rasse besonders wegen ihrer Härte und Ausdauer und ihrer Unerschrockenheit im Kampf. Für die gekrönten Häupter, wie z.B. Kaiser Hirohito bei seiner Krönung, war der Shagya-Araber das Paradepferd.

Bild Archiv Walter Huber (Original? - Historisches Foto)

Da es technische Errungenschaften wie Funk, Telefon, Fax oder E-Mail noch nicht gab, waren Meldereiter überaus wichtig und oft kriegsentscheidend. Normalerweise konnten trainierte Pferde ca. 40 km am Tag in schnellem Tempo zurücklegen. Nach einer solchen Strecke musste auch der Reiter Pause machen, um dann auf einem frischen Pferd seinen Weg fortzusetzen. Die Pferde der neuen 'Araber-Rasse' (später Shagya-Araber) schafften dagegen mühelos 60-80 km und dies meist in kürzerer Zeit als die anderen Pferde. Ausserdem erholten sie sich schneller, bei einem um ca. 40% geringeren Futterbedarf. Diese Härte und Ausdauer hat sich bis heute erhalten; so gewann 2006 für alle überraschend der Shagya-Araberwallach "Hungares", gezogen in Bábolna, mit seinem Reiter Miguel Villa Ubach (ESP), die 1. Distanzweltmeisterschaft in Aachen für Spanien.

Durch die strenge Zuchtauswahl und die Reinzucht wurden diese herausragenden Eigenschaften dominant im Erbmaterial verankert, so dass die neue Edelrasse auch zur Verbesserung der bodenständigen Rasse dienen konnte.

 
Hungares mit seinem Reiter Miguel Vila Ubach (ESP)

Im Zweiten Weltkrieg kommt der Shagya-Araber nach Deutschland

Durch die Wirren des 2. Weltkrieges gelangte eine größere Anzahl von Pferden der "Araber-Rasse" nach Deutschland, wo Privatzüchter unter schwierigen Bedingungen die Rasse zu erhalten versuchten. Durch umständliche Importe aus den Ostgestüten hinter dem "Eisernen Vorhang" konnte die Zuchtgrundlage etwas erweitert werden.

Diese Gestüte im Osten standen untereinander in regem Blutaustausch. Neben Bábolna (Ungarn) und Radautz (Rumänien) gab es inzwischen weitere Staatsgestüte in Jugoslawien und der ehemaligen CSSR, die die "Araber-Rasse" weiterzüchteten. Dagegen war der Erhalt der "im westlichen Exil" lebenden Privatzuchten weiterhin schwierig. Zur Konsolidierung und Erhaltung der Zucht in Westeuropa wurde ein eigenes Stutbuch erstellt. 1978 wurde die inzwischen fast 200 Jahre alte Rasse von der WAHO als eigenständige, rein gezogene Rasse auf arabischer Grundlage anerkannt. Da es bei dem Namen "Araber-Rasse" immer wieder zu Verwechslungen mit dem arabischen Vollblut sowie der Zuchtrichtung "Araber" kam, beschloss man, den Pferden, die aus den ehemaligen Militärgestüten Österreich-Ungarns kamen, einen neuen Namen zu geben. Man entschied sich für den Namen "Shagya-Araber", denn der Beduinenhengst SHAGYA, den man 1836 aus Syrien nach Bábolna importiert hatte, war einer der bedeutendsten und einflussreichsten Stammväter der Rasse gewesen.

1983 wurde die ISG (Internationale Shagya-Araber Gesellschaft) als Dachorganisation der inzwischen über mehrere Länder verteilten Shagya-Züchter gegründet. Inzwischen ist die Zahl der angeschlossenen Verbände von ursprünglich 3 auf 17 Mitgliedsstaaten angestiegen. In Deutschland werden die Shagyas in 2 Zuchtverbänden geführt, dem VZAP (Verband der Züchter und Freunde des arabischen Pferdes) und dem ZSAA (Zuchtverband für Sportpferde arabischer Abstammung). In der Schweiz wird die Rasse vom SAVS (Shagya-Araberverband der Schweiz) betreut.

Shagya-Araber sind KEINE Vollblutaraber

Kaum jemand würde wohl einen Holsteiner mit einem Englischen Vollblüter verwechseln, selbst wenn der Holsteiner mehrere davon in der Abstammung aufzuweisen hätte. Auch ein Trakehner bleibt stets ein Trakehner trotz mehrerer arabischer Hengste in der Abstammung.

Dagegen wird der Shagyaaufgrund des "Arabers", den er immer noch im Namen trägt, auch immer noch mit dem Vollblutaraber verwechselt. Dies hat sich inzwischen äußerst negativ ausgewirkt. Aufgrund der medienwirksamen Showszene der Vollblutaraber und der Tatsache, das seit langem auf Verlangen der WAHO keine Körung und Leistungsprüfung mehr für Vollblutaraberhengste verlangt wurde, haben viele Reiter sich daran gewöhnt, den Vollblutaraber als ein schönes Ausstellungspferd und nicht mehr als Reitpferd zu betrachten.

Leider hat in diesem Zusammenhang dann auch die Nachfrage nach den Shagyas - den eigentlich ´am Reißbrett geplanten`, früher weithin berühmten ´geborenen` Reit- und Fahrpferden - inzwischen stark abgenommen. In Deutschland ist in den letzten Jahren die Geburtenrate von über 280 Fohlen im Jahr 1994 auf nur noch ca. 40 Shagya-Fohlen in 2012 dramatisch zurückgegangen. 2013 werden vermutlich nicht einmal 30 Shagyafohlen in Deutschland zusammen kommen. Wer in den nächsten Jahren in Deutschland einen jungen Shagya-Araber als Nachwuchspferd sucht, wird schon jetzt nicht mehr viel Auswahl haben und muss froh sein, wenn er überhaupt ein junges Pferd dieser Rasse bekommen kann. Das macht sich allmählich auch in den anziehenden Preisen bemerkbar und es ist nur zu hoffen, dass die Züchter wieder den Mut haben ihre noch zuchttauglichen Stuten decken zu lassen, damit die Rasse in ihrer Qualität erhalten werden kann.

Kaufinteressenten sollten bereit sein dem Züchter zumindest die angefallenen Kosten für das junge Pferd zu bezahlen. Die belaufen sich heutzutage auch bei kostengünstiger Aufzucht auf immerhin mindestens ca. 10.000 €- 12.000 € für ein 4-5jähriges leicht angerittenes Pferd – vorausgesetzt, das Pferd war weder krank noch verletzt und die Arbeitskosten werden NICHT berechnet. Das bei diesen Kosten auf Dauer niemand junge, qualitätvolle Nachwuchspferde für 3-4.000 € (wie immer noch von vielen Käufern gewünscht) züchten und verkaufen kann, sollte sich jeder bewusst machen. Bezahlt macht sich diese Investition auf jeden Fall, denn Shagyas sind nicht nur deutlich „haltbarer“, sondern auch noch erheblich günstiger im laufenden Unterhalt, als z.B. Warmblüter. Allein für Kraftfutter und Schmied lassen sich bei einem Shagya in der Regel mindestens 1.000 € PRO JAHR einsparen.

Von Seiten der Zuchtverbände ist leider bis heute praktisch keine Werbung für die Rasse des Shagya-Arabers betrieben worden. Doch wer sucht, geschweige denn kauft schon ein Pferd, von dessen Rasse er noch nie gehört hat?

Dies ist ein großer Verlust nicht nur für die Rasse als einzigartiges Kulturgut, sondern auch für alle jene Reiter und Fahrer, die im Shagya ihr ideales ´Pferd für alle Fälle` finden könnten: Wer träumt nicht von einem Pferd, das schön ist, edel, feurig, elegant, dabei aber kräftig und vernünftig, handlich, und dann noch so vielseitig, dass es für so ungefähr alle denkbaren Zwecke zu verwenden ist? Shagyas sind weltweit die einzige Rasse, die Spezialisten in ihren ureigensten Disziplinen geschlagen haben, teilweise bis in die höchsten Klassen - Vollblutaraber in der Distanz, Warmblüter in der Dressur, im Springen und in der Military, Westernpferde im Westernreiten - bis zur Hohen Schule der Klassischen Dressur ausgebildet worden sind und dabei gerne noch ´nebenbei` als zuverlässige Familienpferde arbeiten. Vom Fahren ganz zu schweigen.

Shagya-Araber-Hengst Basyl (Bahadur x Thirza)

Die Shagya-Araberzucht ist eine Leistungspferdezucht

Denn die Shagya-Zucht war seit jeher, und ist immer noch, definiert als eine Zucht von Leistungspferden. Deshalb müssen im Gegensatz zum Vollblutaraber, alle Zuchthengste gekört und leistungsgeprüft werden. Wenn Letzteres zusammen mit Warmbluthengsten geschieht, ist es durchaus vorgekommen, dass der einzige Shagya-Hengst im ganzen Lot gegen alle Warmblüter als Bester abschließt.

Der Kör- und Prüfzwang gilt übrigens auch für die speziell ausgesuchten Vollblutaraberhengste, die zur Blutauffrischung der kleinen Population zugelassen werden. Zusätzlich ist der zugelassene Anteil an Vollblutaraberblut in der Abstammung eines Shagyas streng begrenzt. So dürfen in der 4. Generation, also bei den Ur-Urgroßeltern des Pferdes, maximal 9 von 16 Vorfahren Vollblutaraber sein. Eine Shagya-Stute darf also bei ihren Urgroßeltern nur einen Vollblutaraber in der Abstammung haben, wenn ein gekörter und leistungsgeprüfter Vollblutaraberhengst eingesetzt werden soll. 

Diese strenge Qualitätszucht sorgt dafür, dass der Shagya ein solides Leistungspferd mit deutlich größerem Rahmen und Kaliber als der Vollblutaraber bleibt, mit einem Stockmaß um die 1, 55 m bis 1, 65 m. Dadurch ist er groß und kräftig genug für erwachsene Männer - schließlich wurde er als Offizierspferd gezüchtet - aber auch handlich genug als Reitpferd für Frauen und Kinder.

Wie erkenne oder finde ich einen Shagya-Araber

Einen reinblütigen Shagya_Araber erkennt man an seinem sonnenförmigen Brandzeichen mit "Sh" in der Mitte. In der Erscheinung verbindet er den Adel des Vollblutarabers mit dem Kaliber der europäischen Reitpferde - ein edles, harmonisches Reit- und Fahrpferd mittlerer Größe mit besonderem Flair. Es gibt überwiegend Schimmel, aber auch Braune und vereinzelt Füchse und Rappen sind vertreten. Da in den verschiedenen Staatsgestüten verschiedene Typen gezüchtet wurden, findet man auch heute noch eine gewisse Variationsbreite, so dass eigentlich jeder Reiter sein ganz persönliches Traumpferd finden kann.

Eines der typischen Markenzeichen des Shagyas ist allerdings nicht äußerlich. Es gibt wenige Rassen, die so menschenfreundlich, nervenstark und geradezu rücksichtsvoll sind. Ganze Busladungen von Besuchern können unbesorgt zwischen den grasenden Shagyaherden von Bábolna oder Radautz herumwandeln. Auch in den hiesigen privaten Gestüten erleben Besucher oft eine Überraschung, wenn der Züchter sie ganz selbstverständlich mitten in die Herden mit nimmt. Da hat man dann gleich alle Pferde um sich, ohne im Geringsten gerempelt zu werden, und weiß nicht, welches Pferd man zuerst kraulen soll.

Shagya-Araber-Hengst Balou (Shaman x Baroness)

Anfängern und Kindern gegenüber benehmen sich Shagyas typischerweise meist sehr verantwortungsvoll und vorsichtig. Dass selbst Deckhengste sich problemlos von Kindern und Jugendlichen reiten lassen, ist keine Ausnahme. Dabei sind sie sehr personenbezogen und binden sich sehr schnell und intensiv an "ihren" Reiter.

Das nach wie vor enorm hohe Leistungspotenzial der Shagyas wird leider erst sichtbar, wenn sie an einen Reiter geraten, der diesem auch gerecht werden kann. Dann aber ist alles möglich. Die Weltmeisterschaft im Distanzreiten über 160 km in Aachen ging an einen Shagya-Wallach aus Bábolna. Es gibt auch Shagyas, wie z.B. den Hengst Gadar, die erfolgreich an Springprüfungen bis zur Klasse S, natürlich gegen Warmblüter, teilnehmen. Der wohl am vielseitigsten im Sport lange Jahre aktive Shagya ist der Rapphengst Bahadur aus der Schweiz. Er wird seit 1997 neben dem Deckeinsatz (Natursprung) in sämtlichen sportlichen Disziplinen erfolgreich eingesetzt und vererbt seine vielseitige Veranlagung auch an seine Nachkommen.

Shagya-Araber-Hengst Bahadur (Herold x Bajgala)

Leider wird dieses Potenzial noch viel zu selten genutzt

Die meisten Shagyas erfreuen ihre Besitzer als unkomplizierte und zuverlässige Freizeitpartner und Familienpferde, die alles mitmachen, was den Besitzern oder deren Kindern so einfällt. Gut ausgebildet, sind sie ohne Kraft und mit dem kleinen Finger zu reiten. Sie schonen dauerhaft das Konto, da sie mit einem gut eingestreuten Offenstall und gutem Grundfutter zufrieden sind und kaum Kraftfutter brauchen. Den Schmied sehen sie meist nur zum Ausschneiden ihrer harten Hufe und den Tierarzt in der Regel nur für Impfungen und Wurmkuren. Sollten sie sich wirklich einmal verletzen oder krank werden, sind sie meist wesentlich schneller wieder gesund und fit als Pferde anderer Rassen.

Dieser Artikel möchte dazu beitragen, den Shagya-Araber wieder bekannter zu machen und aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken, ehe diese Rasse, einst international begehrt als das ideale "Mittelpferd" und "die Krone der Pferdezucht", zu den ausgestorbenen Tieren zählt.

Mit freundlicher Genehmigung von Ingrid Früchtenicht, Shagya-Gestüt Neuenbrook (D)